Professor Hauber, einige Vögel legen ihre Eier in die Nester anderer Vögel. Warum machen sie das?
Mark Hauber: Das hat sich evolutionär so entwickelt. Nachkommen großzuziehen, ist nämlich sehr aufwendig. Ein Nest zu bauen, verschlingt viel Energie. Hinzu kommt noch die Gefahr von Raubtieren, während die Eltern auf den Eiern sitzen oder die Küken füttern. Da ist es für einen Vogel viel praktischer, sein Ei in ein anderes Vogelnest zu legen und sich dann nicht weiter kümmern zu müssen. Aber natürlich birgt die Eiablage in Nester anderer Vögel auch Gefahren. Das Küken könnte mit der falschen Nahrung gefüttert oder sogar komplett abgelehnt werden.
Auf welche Vogelarten konzentrieren Sie sich?
Ich beschäftige mich mit dem europäischen Kuckuck, außerdem mit dem Kuhstärling – das ist eine Vogelart, die vor allem in den Vereinigten Staaten und Kanada vorkommt.
Forschen Sie auch in den Wäldern von Delmenhorst?
Das würde ich schon gerne tun, aber der größte Teil meiner Arbeit ist Bibliotheksrecherche. Ich schaue mir die Arbeiten anderer Forscher an und fasse sie zusammen. Vieles ist digitalisiert und online verfügbar.
Wenn Sie in Wäldern forschen, wie fertigen Sie die künstlichen Eier an?
Ich verwende einen 3D-Drucker. Als Vorlage nehme ich das Bild eines natürlichen Eis aus einer Museumssammlung.
Wie reagieren Vögel, wenn sie feststellen, dass sich in ihrem Nest ein künstliches Ei befindet?
Wenn sie es bemerken, versuchen sie, es aus dem Nest zu werfen. Das regt sie schon sehr auf. Aber manchmal sind die Eier so gut in Farbe, Form und Größe nachgeahmt, dass der Wirt das nicht erkennt. Dann haben sie ein Kuckucksei im Nest und lassen es in Ruhe.
Und wie reagieren Brutparasiten, wenn Wirtsvögel das Kuckucksei aus dem Nest entfernen?
Der Kuhstärling in Illinois ergreift tatsächlich Vergeltungsmaßnahmen. Da geht es zu wie bei der Mafia: Sobald ihr Ei aus dem Nest entfernt wurde, kommen sie zurück und zerstören die übrigen Eier und werfen auch die Küken raus. Das nennen wir das „Mafia-Verhalten“ oder das „Vergeltungsparasiten-Verhalten“.
„Mafia-Verhalten“ klingt sehr gefährlich.
Wir wissen, dass der Kuckuck in Spanien und der Kuhstärling in Nordamerika sich so verhält. Beim Kuckuck in Deutschland oder England sind wir uns noch nicht ganz sicher.
Also gibt es zwischen Brutvögeln und Brutparasiten eine Art Kooperation?
Ich würde es eher „Toleranz“ nennen. Manche Brutvögel haben sich dahingehend entwickelt, Kuckuckseier zu tolerieren – weil sie kein daran Interesse haben, von den Brutparasiten heimgesucht und bestraft zu werden.
Das Aussehen der Kuckuckseier entspricht immer den Eiern der Vögel, die der Brutparasit betrügen will.
Ja, jedes Kuckucksweibchen ahmt einen bestimmten Wirt nach – und produziert daher nur eine Eifarbe und ein Muster. Dementsprechend legen verschiedene Weibchen unterschiedliche Eifarben und imitieren unterschiedliche Wirte. Das ist wahrscheinlich ein genetischer Bestimmungsmechanismus.
Welche Forschungsergebnisse haben Sie am meisten überrascht?
Ich war überrascht, dass Rotkehlchen spitze Modelleier aus dem 3D-Drucker weniger häufig ablehnen wurden als schmale Eier. Das legt nahe, dass Rotkehlchen nicht verstehen, wenn ein Ei spitz ist – weil dies in der Natur nie vorkommt.
Sind Ihre Forschungsergebnisse bei Vögeln auf andere Arten übertragbar?
Ja, Parasitismus kommt bei Fröschen, Fischen und sozialen Insekten wie Termiten, Wespen, Bienen und Ameisen vor.
Sind Sie zum ersten Mal in Deutschland?
Nein, ich war bereits auf einigen Konferenzen in Berlin. Und ich habe das Max-Planck-Institut in München besucht. Ich bin gebürtiger Ungar und habe Deutschland noch vor dem Mauerfall als Tourist erlebt.
Was denken Sie über Delmenhorst und die Region?
Ich bin sehr gerne hier. Ich habe beispielsweise ein Storchenzentrum bei Bremen besucht. Das finde ich faszinierend, wie diese Zugvögel den Winter in Deutschland verbringen und wie sich das Storchenzentrum um sie kümmert. Die Fellows am HWK sind alle sehr freundlich. Ich habe mich mit einigen anderen Kollegen angefreundet – Musikern, Geologen und Physikern. Eine Stipendiatin kenne ich seit einer gemeinsamen Reise nach Neuseeland von vor über 15 Jahren.
Die Wiedergabe des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung des "Delmenhorster Kreisblatts". Die Fragen stellte Ilias Subjanto.
Mehr zu Mark Hauber's Projekt am Hanse-Wissenschaftskolleg finden Sie in diesem Artikel der New York Times (Englisch): "How an Eight-sided Egg Ended Up in a Robin's Nest"