Von der Wahrnehmung der Zeit bis zur gezielten Auslösung moralischer Panik: 13 neue Fellows am Hanse-Wissenschaftskolleg

13 neue Fellows aus elf Ländern kommen im zweiten Halbjahr 2021 für 3-10 Monate ans Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK) nach Delmenhorst. Sie erforschen unter anderem die menschliche Zeitwahrnehmung, die Fähigkeit von Korallen, sich dem Klimawandel anzupassen und die Strategien autoritärer Regierungen für die gezielte Auslösung moralischer Panik. Das HWK ermöglicht ihnen die Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten der Universitäten Bremen, Oldenburg und Osnabrück sowie dem Alfred-Wegener-Institut/Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und dem Forschungsinstitut Senckenberg am Meer. Ein Fellowship wird gemeinsam mit der Hansa-Flex-Stiftung vergeben.

Im Bereich BRAIN:

  • Prof. Dr. Sabine Sielke (Universität Bonn, Deutschland) setzt sich in ihrer Arbeit mit unterschiedlichen Ansätzen der Erforschung des menschlichen Erinnerungsvermögens auseinander. Sie interessiert sich sowohl für die neurowissenschaftliche, als auch die literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive und fragt, ob sich beide Sichtweisen in einen fruchtbaren Dialog bringen lassen. Prof. Sielke untersucht dazu die literarischen Arbeiten von Emily Dickinson, Henry James und Gertrude Stein und ihr Fortwirken im gesellschaftlichen Gedächtnis.

  • Dr. Myat Su Yin (Mahidol University, Thailand) erforscht die Entscheidungsabläufe von medizinischem Personal während der Durchführung chirurgischer Eingriffe aus praktischer und symbolischer Perspektive. Ihr Ziel ist es, durch ein differenziertes Verständnis der Arbeitsschritte, ihrer Konsequenzen im Operationsverlauf und ihrer Vermittlung zur Entwicklung besserer virtueller Trainingsangebote beitragen zu können.

  • Assoc. Prof. Bin Zhou (Chinese Academy of Sciences, China) erforscht das menschliche Erleben von Zeit in Abhängigkeit von der Wahrnehmung bestimmter Dinge und Ereignisse. Dr. Zhou interessiert sich dafür, wie sich die subjektive Wahrnehmung von verstrichener Zeit und von Dingen, die wir währendessen beobachten, gegenseitig beeinflussen, z.B. wenn ein Ereignis in Abhängigkeit von seiner Dauer anders erinnert wird. Anders als bisher üblich konzentriert sich Dr. Zhou dabei auf die beobachteten Objekte und nicht die Intensität ihrer Wahrnehmung und bezieht neben dem zeitlichen auch den räumlichen Kontext ein.

Im Bereich EARTH:

  • Dr. Leonie Tabea Esters (Uppsala University, Schweden) erforscht Turbulenzen in den Ozeanen und ihre Bedeutung für die Entwicklung präziserer Klimamodelle. Mehr als 70% der Erde sind von Meerwasser bedeckt. Um besser zu verstehen, wie die Weltmeere Treibhausgase wie CO2 aufnehmen und abgeben, untersucht Dr. Esters den Gasaustausch zwischen Luft und Wasser an ausgewählten Küsten von Nord- und Ostsee. Von ihren Untersuchungen erwartet sie sich einen Beitrag zur Verbesserung der Genauigkeit von Klimavorhersagen. 

  • Dr. ir. Veerle Ann Ida Huvenne (University of Southampton, Großbritannien) untersucht biologische Vielfalt und ihre räumliche Verteilung in der Tiefsee. Sie bedient sich dafür des "habitat mappings" mittels Tiefseerobotern, um Lebensräume anhand spezifischer Umweltbedingungen, ihrer Variabilität und Wirkungen auf ausgewählte Spezies von Kaltwasserkorallen zu charakterisieren. Dr. Huvenne erforscht dazu exemplarisch zwei Tiefseeregionen und erhofft sich Aufschlüsse über die Möglichkeiten zur Vorhersage des Vorkommens bestimmter Arten.

  • Asst. Prof. Dr. Alberto Robador Ausejo (University of California Los Angeles, USA) erforscht Prozesse von Energiegewinnung und -verbrauch durch Mikroorganismen in den Ozeanen. Ihn interessiert, wie Mikroorganismen in schwer zugänglichen marinen Ökosystemen mit Energie versorgt werden und wie sie diese einsetzen um z.B. mit ökologischen Stressoren umzugehen. Prof. Robador Ausejo erhofft sich davon Erkenntnisse für ein besseres Verständnis des Energieumsatzes von Mikroorganismen.

  • Dr. Covadonga Orejas Saco del Valle (Centro Oceanográfico de Gijón – Instituto Español de Oceanografía (IEO), Spanien) erforscht Kaltwasserkorallen und ihre Anpassungsstrategien an extreme Umweltbedingungen. Korallen dieser Art sind sehr anpassungsfähig, die Mechanismen jedoch bisher wenig verstanden. Dr. Orejas Saco del Valle untersucht diese u.a. mittels Experimenten in Aquarien. Sie erwartet von ihrer Forschung Einsichten in die Fähigkeiten von Korallen, sich ökologischen Veränderungen wie steigenden Temperaturen oder der Versauerung der Ozeane anzupassen.

  • Dr. Luiza Teixeira-Costa (Harvard University Herbaria, USA) untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Physiologie parasitärer Blütenpflanzen. Klimatische Einwirkungen auf parasitäre Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen können weitreichende ökologische Folgen haben. Dr. Teixeira-Costa erforscht anhand von Wachstum und Photosynthese, wie Parasiten und ihre Wirtspflanzen auf erhöhte CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre reagieren. Von ihrer Arbeit erhofft sie sich u.a. Erkenntnisse darüber, wie der Klimawandel die Verbreitung parasitärer Pflanzen in Zukunft beeinflussen könnte.

Im Bereich ENERGY:

  • Dr. Oleg Tsupko (Space Research Institute of the Russian Academy of Sciences, Russland) kehrt für den zweiten Teil seines Fellowships ans HWK zurück. Er untersucht die Verzerrungs- und Ablenkungseffekte der extrem hohen Gravitationsenergien von Schwarzen Löchern und Neutronensternen auf das Licht. Ihn interessieren insbesondere die Wechselwirkungen dieser Effekte mit Plasma, wenn ein astronomisches Beobachtungsobjekt von diesem umgeben ist.

Im Bereich SOCIETY:

  • Assoc. Prof. Dr. Liliia Korol (University of Ostroh Academy, Ukraine) erforscht den Zusammenhang von negativen Integrationserfahrungen und Gewalt bei migrantischen Jugendlichen in Deutschland, Schweden und Norwegen. Sie interessiert sich insbesondere für die Frage, wann und warum soziale Exklusionserfahrungen unter Jugendlichen aus postsozialistischen Ländern Osteuropas diese zu Gewalttaten verleiten können. Prof. Korol rechnet durch ihre Forschung mit Erkenntnissen für die Optimierung von Integrationsstrategien in westeuropäischen Ländern.

  • Assoc. Prof. Pierce J. Hale (University of Oklahoma, USA) untersucht die Nachwirkungen der Publikation von Charles Darwins "Origin of Species" (1859) auf die sozialen, politischen und theologischen Debatten seiner Zeit. Prof. Hale befasst sich mit den Folgen von Darwins Arbeit für den Diskurs über die Herkunft des Menschen und den Ursprung von Moral, Ethik und Bewusstsein sowie den Schlussfolgerungen, die seine Zeitgenossen für die Gestaltung von Politik und gesellschaftlichem Miteinander zogen.

  • Dr. Lasisi Adeiza Isiaka (University of Toronto, Canada) untersucht die Wechselbeziehung digitaler sprachlicher Praxis und der Entstehung von Sozialität unter dem Einfluss von Mobilität. Am Beispiel afrikanischer Diasporas in Deutschland erforscht er, wie westafrikanische Migrantinnen und Migranten sich mittels digitaler Medien über Integration, Zukunftschancen, Zugehörigkeit usw. verständigen. Er fragt, welche Einsichten sich daraus für das Verständnis des Einflusses digitaler Kommunikation auf Sprachgebrauch, Sozialisierungsprozesse und die Bewertung von Integrationserfolgen gewinnen lassen. Das Junior Fellowship wird von der Bremer Hansa-Flex-Stiftung unterstützt.

  • Prof. em. Dr. Endre Sik (Hungarian Academy of Sciences, Ungarn) arbeitet an einem politikwissenschaftlichen Buch über die gezielte Auslösung moralischer Panik in der Bevölkerung durch politische Akteure als Werkzeug der Propaganda ("Moral Panic Button"). In seinem Projekt am HWK untersucht Prof. Sik die historischen, sozialen, politischen und ökonomischen Enstehungsbedingungen, die derartige Techniken motivieren und geht der Frage nach, inwiefern Ungarn als Wegbereiter für ihren Einsatz gelten kann.

Bildmaterial und Gesprächstermine auf Anfrage.

Pressekontakt

Bijan Kafi
Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/
Head of Communications
Hanse-Wissenschaftskolleg (Institute for Advanced Study)
Lehmkuhlenbusch 4
27753 Delmenhorst
Fon: +49 (0) 4221 9160-171
email: bkafi[at]hanse-ias.de

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