Lohnt die Küste?

Vierter Workshop zum Buchprojekt "Kursbuch Küste" vom 28.- 29.04. 2014

Luftbild: Spuren mittelalterlicher Siedlungsreste im Watt belasten noch heute die Beziehung der Friesen zum Meer.

Unter der Leitung von Prof. Karsten Reise, dem ehemaligen Leiter der Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts auf Sylt, diskutierten 20 Experten aus Kultur, Wissenschaft und Verwaltung, diese Frage am Hanse-Wissenschaftskolleg in einem Workshop (28. - 29. 04.). Auch dieser inzwischen vierte Treffen diente der Vorbereitung des ambitionierten Buchprojekts "Kursbuch Küste", das von der Bremer Landesbank und dem Hanse-Wissenschaftskolleg gefördert wird.

Wer bei der Frage, ob sich die Küste noch lohnt, allerdings nur an Hafenwirtschaft, Tourismus oder Windenergie denkt, vergisst, dass die Nordseeküste auch ein inspirierender Natur– und Kulturraum ist, der viel zu bieten hat. Oder ist das nur der nostalgisch verklärte Blick weltfremder Küstenromantiker? Ist die Küste nicht längst zum Rand des Binnenlands verkommen, ohne ein Eigenleben und ohne eigene Werte? Wenn der Meeresspiegel künftig schneller steigt, was steht dann alles auf dem Spiel, was lohnt sich zu retten, was schwimmt oben und was kann überflutet werden?

Solche Fragen erregen Anstoß und Unwillen. Hat nicht der Küstenschutz durch wehrhafte Deiche alles zuverlässig im Griff? Daran zweifelte beim Workshop die kreative Mischung aus Raumplanern und Küstenschutzexperten, Architektinnen und Künstlerinnen, Ökologen und Historikern auch nicht. Allerdings ist das Ziel des Projektes "Kursbuch Küste" nicht ein weiterer Beitrag zum Thema Deichsicherheit, sondern es will Anregungen für nachhaltige Anpassungen des Küstenlebens an ein schneller steigendes Meer geben. Das wird nicht nur als Bedrohung gesehen, sondern auch als Chance, die Küstenregion neu zu gestalten und zu stärken.

Ein Leben mit viel Wasser, viel Bootsverkehr und viel Fisch war lange Zeit prägend für das Leben an der Küste. Heute ist die Küstenlandschaft trockener und zugleich sind unsere Häuser, Wege und Felder anfälliger für viel Wasser geworden. "Noch im 19. Jahrhundert haben Bauern an der Oste ihre Deiche geöffnet, damit die Fluten neuen Schlick auf die Felder bringen und sie wachsen lassen", erinnert Norbert Fischer, Professor für Landschaftsgeschichte an der Universität Hamburg. An der dänischen Grenze, wo Emil Nolde die Küstenlandschaft malte und dabei die amphibische Landschaft ästhetisierte, war es im Winter normal, die Nachbarn nur mit dem Boot besuchen zu können. Die Geschichte des Deichbaus sei letztlich die Geschichte der Veränderung der Küsten- und Naturwahrnehmung, so Ludwig Fischer, Professor für Kultursoziologe an der Universität Hamburg. Hat eine immer effektiver gewordene Wasserwirtschaft aber somit zugleich Potentiale trocken gelegt, mit denen heute die Küstenregion eigentlich für sich werben könnte? In anderen Ländern sind die Diskussionen schon weiter, so die Raumplanerin Prof. Antje Stokman von der Universität Stuttgart. So werden in den Niederlanden schon in wesentlich stärkerem Maße stadtplanerische Überlegungen zum Leben mit und auf dem Wasser angestellt als in Deutschland.

Eine lebhafte Debatte entstand bei der Frage, ob es so etwas wie eine Küstenidentität bei den Küstenbewohnern und -bewohnerinnen überhaupt gibt. Der Spruch "Gott schuf das Meer, der Friese die Küste" zeige aber, so Prof. Meinfried Striegnitz, ehemaliger Präsident des niedersächsischen Landesamtes für Ökologie, dass es einen großen kollektiven Stolz auf die eigenen Errungenschaften gibt, mit denen man dem Meer trotzt.

Durch das Prädikat "Weltnaturerbe" hat das Wattenmeer eine starke Aufwertung erfahren. Die dabei geführte intensive Diskussion darum, ob denn das Wattenmeer eine vom Menschen unberührte Natur ist, sei aber typisch deutsch, so Jens Enemark, Leiter des gemeinsamen Sekretariats der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks für den Schutz des Wattenmeers mit Sitz in Wilhelmshaven. Weltnatur- und Weltkulturerbe seien aber gar nicht zu trennen wie z.B. freigespülte Siedlungsstrukturen mitten im Watt zeigen.
Auch die Kultur dieses Küstenraums hat Einzigartiges hervorgebracht, was ebenso erhaltenswert ist. Dr. Peter-René Becker vom Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg wirbt für eine Besinnung auf die küstenspezifischen Kulturleistungen der Region.

Der Workshop lieferte somit reichlich Stoff für ein spannendes Kapitel im "Kursbuch Küste". Noch ein weiteres Treffen ist geplant, bevor das Buch geschrieben wird, damit es im nächsten Jahr mit seinen Impulsen für die Küste erscheinen kann.

 

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