Am 19. Mai 2008 fand unter maßgeblicher Beteiligung des Hanse-Wissenschaftskollegs (HWK) in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) eine Tagung zum Thema "Extreme Gewalt" statt. Veranstalter waren neben dem HWK das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI), das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW). Als Organisatoren wirkten für das HIS Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, für das HWK Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth und für das KWI Prof. Dr. Harald Welzer. Die ganze Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble.
Nicht nur das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert extremer Gewalt gewesen: Kriege, Völkermord, politischer Terrorismus sind Themen, die in den Medien, in der Innen- und Außenpolitik wie auch im Alltag ständig präsent waren und sind. Die sich in ihnen manifestierende extreme Gewalt hatte stets sowohl eine politische als auch eine individuelle Dimension. Trotz der unbestrittenen Bedeutung aller Formen extremer Gewalt gibt es jedoch bis heute kaum Versuche, diese Gewalt in einer Art Zusammenschau aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu analysieren und die Fülle einzelwissenschaftlicher Forschungsresultate in einer Synthese zusammenzuführen. Auch die theoretischen Fragen, die das Verständnis von Gewaltphänomenen aufwirft, sind nach wie vor ungeklärt. Vor 40 Jahren schrieb Hannah Arendt: "Die Probleme der Gewalt sind immer noch sehr dunkel." Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Die Tagung an der BBAW bildete den großangelegten Versuch, unterschiedliche Disziplinen zu Fragen extremer Gewalt an einen Tisch zu bringen. Die dort gehaltenen Vorträge evozierten intensive Diskussionen, in denen einige wichtige Einsichten präzisiert wurden: Individuelle Gewalt ist keineswegs immer ein pathologisches Phänomen. Man muss vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass unter bestimmten Umständen fast alle Menschen – gerade auch die "ganz normalen" Männer (seltener Frauen) – zu ungeheuerlichen Gewaltexzessen fähig sind. Eine weitere Einsicht bezog sich auf den methodischen Ansatz: Es ist oft fruchtbarer, nicht zu fragen, warum Menschen in welcher Form gewalttätig werden, sondern vielmehr zu erforschen, wann Menschen unter welchen Bedingungen nicht zum Mittel der Gewalt greifen. Außerdem hat die Tagung gezeigt, dass es keine einheitliche multidisziplinäre Theorie der Gewalt geben kann. Denn die Phänomene, die man gemeinhin unter dem Begriff "Gewalt" zusammenfasst, sind höchst heterogener Natur.
Alles in allem war die Tagung ein Schritt vorwärts: Es wurde ein wenn auch schwieriger Dialog der Disziplinen in Gang gebracht, bei dem physiologische, psychologische, neurobiologische, politische und soziale Bedingungen für Gewaltphänomene zur Sprache kamen. – Das Bundesministerium des Innern plant eine Publikation der Tagungsergebnisse.